Stahl, Klang und ein rostiges Kreuz - katholisch.de

2022-05-27 20:40:45 By : Ms. Maple Ren

Mechernich ‐ Für Hermann J. Kassel kommt in seiner Kunst alles zusammen: Die Musik, seine Faszination für Eisen und der Prozess der Veränderung. Auch das Aeternus-Kreuz, das in einer Bonner Kirche über dem Altar hängt, hat er entworfen. Katholisch.de hat ihn besucht.

Sie fangen an, wie ein Metronom zu schwingen und klopfen mit ihren beiden abgewinkelten unteren Teilen abwechselnd auf die Stahlplatte, an der sie befestigt sind. Rechts, links, rechts, links, tock tock tock tock, dumpfe, kurze Laute. "Der ist jetzt noch leise, aber ich kann hier auch großen Radau machen."

Kassel wendet sich einer ganzen Gruppe von Stahlstäben zu, die ebenfalls auf eine Stahlplatte geschweißt sind. An ihrem oberen Ende mit einer weiteren Stange verbunden, wirken sie wie mannshohe Tannennadeln. Unter dem Druck seiner Hände beginnen sie zu wogen, ihr freies Ende hackt einen kakofonischen Chor auf die Platte. "Wie ein orchestrales Zusammenspiel." Kassel schaut in den wobbelnden Stahl. "Irgendwann kommen die in einen fast meditativen Zustand."

Aeternus-Kreuze von Hermann J. Kassel.

Aeternus-Kreuze von Hermann J. Kassel.

Eindrücke aus dem Atelier von Hermann J. Kassel.

Eindrücke aus dem Atelier von Hermann J. Kassel.

Eindrücke aus dem Atelier von Hermann J. Kassel.

Eindrücke aus dem Atelier von Hermann J. Kassel.

Eindrücke aus dem Atelier von Hermann J. Kassel.

Eindrücke aus dem Atelier von Hermann J. Kassel.

Er stoppt das Konzert, stupst einen massiven Quader an, der nun auf seinen Stahlfüßen mit lautem "Klonk" durch den Raum wackelt. "Das ist der kleine Klotzkopf." Er schmunzelt. "Ich komme aus einer Kirchenmusikerfamilie, mütterlicherseits gab es auch Metallbauer und Schlosser. Vielleicht kommt beides in mir zusammen." Die Faszination für den rostigen Stahl begleitet ihn seit seinem Studium der Bildhauerei: Mitte der achtziger Jahre war er von der Kunstakademie Düsseldorf an die Folkwang Universität der Künste in Essen gewechselt, machte Aktstudien. "Ich war sehr unzufrieden, ich wollte etwas finden, woran ich weiterarbeiten kann." Da entdeckte er das Moniereisen für sich, jene Stäbe, die für gewöhnlich in Stahlbeton für Stabilität sorgen. "Ein einfaches, ein unglaublich schönes Material."

Nicht alles, was Kassel macht, hat ausschließlich mit Stahl zu tun. Für seine "Erd-Arbeiten" etwa verwendet er feuchte Erde, die er zusammen mit einer bemalten Leinwand hinter Glas einschweißt. Die Leinwand ist bei den älteren seiner Arbeiten nicht mehr zu sehen: Kleinstlebewesen aus der Erde haben sie mit Flechten überzogen, hinter dem Glas leuchtet Grün in allen Facetten. "Es lebt, es wird sich auch noch weiter verändern." Kassel streicht mit einer Hand über den Rahmen, fast zärtlich. "Für mich als Betrachter immer wieder eine neue Übung. Das einzig Stetige im Leben ist die Veränderung."

Der Künstler Hermann J. Kassel fertigt Kreuze aus korrodiertem Stahl, ein Rostkreuz mit einem besonderen "Spirit".

Die Natur ist für ihn Gestaltungsmittel - und Vorbild. In der Mitte seines Ateliers hat er Pflanzen mit großen Blättern wie zu einer Insel zusammengefügt, über einige Tische und Regale breiten sich Hängepflanzen aus. "Das ist für mich wichtig, mich mit Pflanzen zu umgeben", meint Kassel. "Sie inspirieren mich." So auch bei seinen "Baum-Arbeiten": Baumstämme, rostbraun, ragen kronenlos in die Höhe. Kassel hat sie aus miteinander verschweißten Moniereisen geformt. Manchmal umschließt er so Baumstämme aus Holz. Oder er biegt die Eisen unten wie abstrakte Wurzeln auseinander und oben wie Äste. "Hier, der!", ruft er und lässt einen mit ausgeprägten Wurzeln kreiseln. Es knirscht, es klackert metallen. "Bei den größeren, die ich draußen im Freien installiert habe, bringt der Wind den Stahl zum Schwingen, wenn er durch die Stäbe fährt."

Das Kreuz war eine große Herausforderung

Und dann sind da noch die Kreuze: Handtellergroß liegen etwa 130 von ihnen auf Tischen, Reihe an Reihe, jedes auf Büttenpapier, jedes mit Rost überzogen. Angefangen hat alles im Jahr 2000, als Kassel gefragt wurde, ob er ein Altarkreuz für St. Evergislus in Bonn-Bad Godesberg gestalten könne. "Das war eine große Herausforderung." Keine figürliche Darstellung, keine Konzentration auf das Leiden Jesu - das sei ihm sofort klar gewesen. Aber schnell habe er dann zu dem jetzigen Entwurf gefunden, bei dem sich die vier Enden des inneren Kreuzes zum Betrachter hinbiegen. "Ich wollte, dass das eigentlich österliche Geschehen herauskommt, als formalästhetische Darstellung."

Der Künstler Hermann J. Kassel in seinem Atelier.

Der Rost, den er auf den Stahlkreuzen förmlich kultiviert, indem er sie Tag für Tag mit Essig und Wasser einsprüht, sei wie eine Katharsis, ein reinigender Akt. Lackiert werde nichts. "Die Korrosion arbeitet dadurch noch weiter." Veränderung als Kontinuum, auch hier. Dennoch: Gegen zu viel Interpretation wehrt sich der Künstler. Schon, dass er dem Kreuz einen Namen geben musste - Aeternus-Kreuz; als er begann, kleinere Kopien seines Altarkreuzes in Serie zu herzustellen, dass sei ihm nicht leicht gefallen. "Für mich ist es einfach das Kreuz. Ich fühle mich mit dem Entwurf so angekommen, dass ich nicht nochmal einen anderen machen möchte." Und auch die Produktion in größerer Stückzahl habe er sich gut überlegt. "Ich bekam aber von so vielen Menschen, egal welchen Glaubens, so viele Rückmeldungen, dass ich mich doch dazu entschlossen habe."

Auf eine Glaubensrichtung will er sich selbst nicht festlegen. "Ich sage es mal so: Spiritualität spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben." Er hält inne. Dann hebt er eines der Kreuze hoch, tippt mit seinem Zeigefinger auf eine der hochgebogenen Kanten. "Ich habe schon darüber nachgedacht, ob man es so machen könnte, dass das Kreuz klingt, wenn man hier draufdrückt." Er wendet es in seiner Hand. "Musik, Stahl... Da käme doch wieder alles zusammen!" Er lächelt und legt das Kreuz wieder sorgfältig auf das Papier. "Ein Kreuz als Instrument. Darf man das?"