Rödermark: Vorhang fällt im Sommer 2023

2022-06-24 20:24:18 By : Ms. winnie yu

Im September 2004, eine Woche nach der Orwischer Kerb, gaben Friederike und Oliver Nedelmann ihre erste Vorstellung im Wohnzimmertheater in Rödermark. Dessen 20. Geburtstag hätten sie gern gefeiert, doch die Party fällt aus. „Wir schließen unsere Spielstätte im Sommer 2023“, kündigt Oliver Nedelmann (58) an. Was aber nicht heißen soll, dass seine Frau und er die Schauspielerei aufgeben. Doch dazu später...

Rödermark - „Corona hat die Kultur nach Strich und Faden reingehauen“, nennt Friederike den wichtigsten Grund aufzuhören. Mit dem Lockdown im Frühjahr 2020 brachen die Einnahmen weg, Finanzspritzen für Veranstalter ließen auf sich warten. Der Schließung folgte ein Auf und Ab mit Vorstellungen hinter Plexiglas und wenig Publikum, ein Sommer mit Minitourneen in Rödermärker Gärten und vielen positiven Reaktionen: Besucher hatten Tränen in den Augen, als die Nedelmänner wieder spielten.

Aber viele Besucher kamen nicht ins Wohnzimmer zurück. Im Winter mussten zwei von drei Vorstellungen abgesagt werden, weil das Reservierungsbuch leer blieb. Oliver Nedelmann rätselt über die Ursachen. Hatten die Leute Angst, sich trotz Impfung und der 3G-Regel das Corona-Virus einzufangen? Oder sind sie nach mehr als zwei Jahren kulturentwöhnt? Vieles spricht für Ursache Nummer zwei. Sind nämlich Geselligkeit oder gar Party angesagt, strömt das Volk.

Die Kosten fürs Wohnzimmertheater im früheren Telenorma-Verwaltungsbau liefen weiter. In guten Jahren reichten, so Nedelmann, zwei Vorstellungen, um die Miete reinzuspielen. Jetzt heißt die Rechnung: Monatseintritte ist gleich Monatsmiete. Sein frustriertes Fazit: „Uns fehlt die Phantasie, dass das auf absehbare Zeit besser wird.“

Der Gedanke, die Bühne im privaten Wohnzimmer aufzugeben, steckte schon eine Weile in beiden Köpfen. Denn Friederike Nedelmann (64) wird am 1. Februar 2024 Rentnerin. 48 Jahre hat sie als Bibliotheksfacharbeiterin (Diesen Beruf gab"s nur in der DDR.), Museumsaufsicht, Lehrerin, Souffleuse und Schauspielerin Beiträge bezahlt. Auch ohne Corona hätte es das Theater also nicht mehr ewig gegeben.

Das finale Gespräch ergab sich bei einer Probe der Revue „Das Sommerfest“, die Anfang Juni Premiere hatte. Friederike Nedelmann: „Wir haben geredet. Und schwuppdiwupp waren eineinhalb Stunden rum!“ Geprobt haben sie an diesem Abend nicht. Aber ein Ergebnis gefunden, mit dem beide leben können. Im Wohnzimmertheater fällt Mitte 2023 der Vorhang. Bis dahin stehen noch etliche reguläre Vorstellungen, die Wiederaufnahme von „Shirley Valentine oder die heilige Johanna der Einbauküche“ und im März sogar noch die Premiere von „Leben in vollen Zügen“ auf dem Programm. Da erzählen die Schauspieler vom Abreisen und Ankommen.

Wenn sie dann aus Deutschlands wahrscheinlich einzigem Wohnzimmertheater abreisen, spielen sie anderswo in Rödermark. Im „Dinjerhof“ zum Beispiel oder in der Kelterscheune. Außerdem kann man sie für private Feiern oder kulturelle Events buchen. Die Nedelmänner setzen auf kleine Formate, die während der Pandemie wenigstens ein paar Euro brachten. Da transportierten sie Kulturpakete, zwei schnelle Szenen, von Haus zu Haus.

Eine Sache macht Oliver Nedelmann schon jetzt wehmütig: „Mir werden die Gespräche in unserem Wohnzimmer, in der Küche oder vor der Tür fehlen.“ Am Nedelmann"schen Esstisch saßen nach den Abendvorstellungen Schauspieler und Zuschauer zusammen. Die Vorstellungen am 31. Dezember gingen stets in eine Silvesterparty über. Aber das geht nur, wenn man auch dort wohnt, wo man Theater spielt... (Michael Löw)