Joseph F. Glidden: Er erfand die tückische Waffe Stacheldraht - WELT

2021-12-13 09:28:35 By : Ms. shyna li

Es fehlte an Holz, zumindest genug Holz, um die üblichen Zäune zu bauen. Denn vor Ort gab es in der scheinbar endlosen Weite des nordamerikanischen Mittleren Westens keine Bäume und kaum Büsche. Jedes Holzstück, ob für Häuser, Brücken oder Zäune, musste aus den Waldgebieten im Osten geholt werden. Gleichzeitig waren aber wirksame Trennungen notwendig, um die riesigen Viehherden, die in der Steppe weideten, zu beherrschen und am Ende ihres Lebens zu den Bahnhöfen zu treiben, von denen die Tiere zu den Schlachthöfen gebracht wurden in den Städten der Ostküste.

Was also gebraucht wurde, war eine kostengünstige und effektive Möglichkeit, die mächtigen Tiere zu kontrollieren. Es war klar, dass die Lösung aus Stahl bestehen würde, genauer: aus Stahldraht. Aber wie genau? Es gab verschiedene Ideen: William D. Hunt ließ sich 1867 einen Draht patentieren, auf den die für Reiterspornen üblichen "Räder" mit Spitzen von Stanzmaschinen gezogen wurden. Ein Jahr später schützte ein weiteres Patent eine von Michael Kelly erfundene Methode zur Sicherung von Nägeln in Draht.

Doch beide Ideen waren einerseits für die Massenproduktion zu teuer, andererseits für Rinder nicht schmerzhaft genug, um sie am Durchbrechen verstärkter Zäune wirksam zu hindern. Eine andere Lösung war erforderlich.

Einen wichtigen Schritt tat ein gewisser Henry M. Rose aus dem Dorf Waterman, Illinois: Er trieb schräg geschnittene und damit scharfe Drahtstücke von etwa fünf Zentimeter Länge durch Holzbretter und hängte sie an Drahtzäunen auf. Diese Absperrungen schreckten Rinder effektiv ab, weshalb er dafür am 13. Mai 1873 ein Patent erhielt. Aber sie brauchten immer noch zu viel Holz.

Während dieser Zeit sah der 60-jährige Bauer, ehemalige Lehrer und Sheriff Joseph F. Glidden aus DeKalb, der nächstgrößeren Stadt 20 Kilometer nördlich von Waterman, Roses Zaunentwurf auf einem Markt. Er kombinierte die Ideen von Hunt, Kelly und Rose. Gliddens Zaunersatz bestand aus zwei miteinander verdrillten Drähten, um die kurze, schräg abgeschnittene Stücke zweimal als Stacheln gedreht wurden.

Die Konstruktion erfüllte perfekt die Anforderungen an ein modernes Zaunmaterial zur Einfriedung von Rinderherden: Die Drähte waren stabil genug, um sich schnell bewegende Tiere ausreichend abzuschrecken. Außerdem verhinderten die zusammengedrehten Drähte, dass sich die Stacheln wegdrehten. Und die Produktion konnte vollständig mechanisiert werden, erforderte kaum menschliche Arbeit.

Am 24. November 1874 erhielt Glidden das Patent Nr. 157.124 für seine Konstruktion und die dazugehörige Maschine, die von Hand oder mit einer Dampfmaschine betrieben werden konnte. Eine beispiellose Erfolgsgeschichte begann. Obwohl es Rechtsstreitigkeiten über die Idee gab (und Prozesse, die bis 1892 andauerten), bestellten Bauern im Mittleren Westen so viel Stacheldraht („Stacheldraht“), dass bis 1880 rund 100.000 Kilometer solcher Zäune errichtet wurden.

Allein durch Lizenzgebühren wurde Glidden sagenhaft reich, doch er blieb nicht der einzige "Stacheldrahtbaron" - auch seine Nachbarn Jacob Haish und Isaac L. Ellwood sowie der Stahlunternehmer Charles Francis Washburn profitierten von dem neuen Material, sondern fielen ebenfalls immer wieder aus.

Glidden, 1813 in New Hampshire geboren, arbeitete zunächst als Lehrer und kaufte dann mit 29 Jahren eine Farm in DeKalb. Dort wurde er bald eine lokale Berühmtheit, wurde Vizepräsident der örtlichen Bank, Direktor der Eisenbahngesellschaft, kaufte eine Zeitung und baute ein Hotel. Von 1852 bis 1854 war er gewählter Sheriff im DeKalb County, später leitete er die Kommunalpolitik und kandidierte 1876 für die Demokratische Partei als Kandidat für den Senat von Illinois. Der Stacheldraht machte ihn zum Dollarmillionär; einen bedeutenden Teil seines Vermögens spendete er an Schulen und gründete den Vorläufer der heutigen Northern Illinois University in DeKalb.

Sein Stacheldraht machte jedoch eine weitaus größere Karriere. Das Sperrmaterial von Gliddens wurde erstmals 1899 im Burenkrieg militärisch und 1905 im Japanisch-Russischen Krieg zum Schutz von Schützengräben verwendet. Ob Glidden, der 1906 im Alter von fast 94 Jahren starb, sich dessen noch bewusst war, ist ungewiss.

Schließlich wurde Stacheldraht ab Herbst 1914 während des Weltkriegs zum Symbol: Von der Küste des Ärmelkanals bis zur Schweizer Grenze erstreckten sich regelrechte Todeszonen aus Gliddens-Material. Diese Stacheldrahtbarrieren erwiesen sich für den Menschen als ebenso undurchdringlich wie die Zäune für das Vieh.

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