Der Ring in Bayreuth: Eine tragisch verkorkste Familie | Abendzeitung München

2022-08-08 03:20:21 By : Mr. Albert Wu

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In der Fricka-Szene des zweiten Akts war's, in der Christa Mayer übrigens eindringlich gezürnt hat: Da lässt sich Wotan genervt auf einen Sessel fallen, die Lehne bricht ab und er landet auf dem Boden. Ein Regiegag, denken die einen, ein kleines Missgeschick die anderen, viele kichern. Zumal der wieder auf die Beine gekommene Tomasz Konieczny sogleich mit heiligem Göttervaterzorn die Lehne über die Bühne schleudert.

Georg Zeppenfeld, der zuhause brutale Hunding, aber als Kläger im Schlepptau Frickas ehrfürchtig stumm in Walhalls Wohnzimmer, besitzt die Geistesgegenwart, das Bruchstück zu entsorgen - ist er doch hier ohnehin der Hausmeister. Dass Wotan im Monolog immer wieder in hochgespanntem, wie zwischen den Zähnen hervorgestoßenem Piano deklamierte, könnte also nicht bloß eine wohlüberlegte, überraschende Vortragsvariante, sondern vielleicht durch Schmerzen mitbedingt gewesen sein.

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"Netflix-Ring"? Man kennt das Phänomen eher aus den Seifenopern im Nachmittags-Fernsehen: Da werden fallweise Charaktere einfach umbesetzt - etwa wegen zu hoher Gagenforderungen. Verschiedene Gesichter und Stimmen für ein und dieselbe Rolle: Im neuen Bayreuther "Ring" ist das beim Festspiel-Binge-Watching zum Teil geplant (bei Brünnhilde und Siegfried), zum Teil ungewollt.

Denn der Unfall hat verschuldet, dass zu den ohnehin zwei Wotan-Einspringern Egils Silins und Konieczny schon am zweiten Abend der Tetralogie nun noch ein dritter kommen musste. Konieczny sah sich außerstande, den letzten Akt zu singen - und Michael Kupfer-Radecky, eigentlich erst als Gunther vorgesehen, sprang ein, mit der Inszenierung wohl vertraut. Konieczny befinde sich aber auf dem Weg der Besserung und wird - so gaben die Festspiele gestern bekannt - wie geplant den Wanderer im "Siegfried" singen.

Was bisher geschah: Regisseur Valentin Schwarz will den "Ring" als Geschichte einer zwischen Geld und Macht, Liebe und Sex tragisch verkorksten Familie unserer Zeit erzählen - mit einem Kind als Stellvertreter für den Ring. Da dieser in der "Walküre" nicht vorkommt, könnte gerade dieser Abend unter Schwarz'schen Prämissen konventioneller ablaufen - und er tut es auch, allerdings mit forcierten Zutaten sowie mit Zurechtbiegungen, die durch das konsequent jede Mythologie verweigernde Konzept entstehen.

Beim Gewitter am Beginn der "Walküre" ist eine Esche mit tentakelartigem Wurzelwerk in Hundings Hausmeisterwohnung eingebrochen, der Strom ist ausgefallen. Sieglinde ist hochschwanger.

Von Hunding etwa? Die Grauen erregende Antwort folgt im nächsten Akt, wenn Wotan zu Sieglindes Albtraum der Tochter an die Wäsche geht und Inzest suggeriert: Siegfried ist nicht sein Enkel, sondern sein Sohn.

Doch zunächst ist man erleichtert wegen der deutlichen Steigerung des gesanglichen Niveaus im Vergleich zum "Rheingold" und der großartigen Wortdeutlichkeit. Der Siegmund mag Klaus Florian Vogts schwächste Wagner-Partie sein, weil er in der mageren Tiefe rau wird und er überhaupt atemtechnisch manche Phrasen zerteilen muss - aber man versteht jede Silbe. Und Zeppenfeld ist ohnehin das wandelnde Bayreuther Mess- und Eichamt für die perfekte Verbindung von Wort und Ton.

Nicht ganz so diktionsstark: Publikumsliebling Lise Davidsen, die jedoch in den besten, klangstark aufblühenden Momenten die Erinnerung an das Timbre von Jessye Norman wecken kann - kein Qualitätsurteil und schon gar keine Gleichsetzung, nur eine merkliche Ähnlichkeit.

Da es zu ebener Erd' kein Schwert gibt, rätselt man, was im ersten Stock, im freudlosen Schlafzimmer, zu Siegmunds Monolog unter Sieglindes Händen aufleuchtet: Es ist ein Duplikat der Lampe aus dem "Rheingold", eine strahlende Pyramide in einem transparenten Würfel - ein Modell Walhalls oder überhaupt das Firmenlogo. Und siehe da, in dessen Boden ist "Nothung" versteckt, kein Schwert, sondern, genau wie Wotans Speer, eine Pistole.

Wenn Winterstürme dem Wonnemond weichen, senkt sich das doppelte Kinderzimmer von einst herab und kleine Doubles des Wälsungenpaares spielen idyllisch. Da vergisst sogar Sieglinde ihren schweren Bauch und tanzt in die Vergangenheit. Erotik: Fehlanzeige, wegen Schwangerschaft, aber auch, weil Cornelius Meister am Pult kein Spannungsbogen gelingt: Seine Tempodramaturgie bleibt erratisch und eigensinnig - so eigensinnig, dass er Kupfer-Radecky am Ende in eine epische Breite zwingen will, die der redliche Sänger weder an Stimmkraft noch an Atem ganz aufbringen kann.

Doch bis zu diesem Feuerzauber, der weder Feuer noch Zauber beschäftigt, muss noch übertriebene Walküren-Trauer um die aus dem Leben geschiedene Freia über die Bühne gehen, dazu eine Todverkündigung, bei der sowohl Wotan als auch Fricka sich eine Weile vergewissern, dass alles wie verabredet läuft, bevor Wotan persönlich Siegmund abknallt. Siegfried wird bereits zwischen den Akten geboren. Der Walkürenfels entpuppt sich als Wartezimmer einer Schönheitsklinik, wo korrigiert, geliftet und implantiert wird, was das Gewebe hält. Wotan scheint Brünnhilde einfach aus dem Clan zu verstoßen: Sie geht mit ihrem menschlichen Hipster-Freund Grane ins Dunkel ab, bevor sich Walhalls Fassade wie ein Garagentor senkt.

Schade, dass Iréne Theorin zwar die hohen Cs trifft, aber die ganze Partie schrill, blechern und in sprachlichem Kauderwelsch abliefert. Eine Pointe gelingt Schwarz allerdings am Schluss: Da glaubt Fricka, sie habe Wotan erfolgreich zurück in den ehelichen Hafen gezwungen und will mit Schampus anstoßen. Der Gatte aber leert ihr die Plörre vor die Füße und nimmt wörtlich den Hut: Diese Beziehung ist zu Ende.

BR Klassik überträgt die "Götterdämmerung" am Freitag ab 16 Uhr im Radio und als Video-Stream